Die geträumte Gerechtigkeit
Ernst Augustins Der amerikanische Traum ist mehr als eine Detektivgeschichte.
von Stephan Lesker
Wir schreiben das Jahr 1944. Ein kleiner Junge fährt auf seinem Fahrrad eine Chaussee Richtung Schwerin entlang. Im Gepäck hat er das wertvolle Edelholz Coimbra, welches er unter größten Gefahren dem brasilianischen Dschungel abgerungen hat. Natürlich ist es nichts weiter als gewöhnliches Feuerholz, aber der Junge hat eine Schwäche für Abenteuerromane und Detektivgeschichten. Er ahnt nicht, dass ihn bald ein ganz reales Unheil ereilen wird. Ein amerikanisches Flugzeug nähert sich. An Bord ein Navigator, ein Steuermann und ein Schütze. Aus Langeweile schießen sie auf alles, was ihnen über den Weg läuft. So auch auf den Jungen.
Ein Verbrechen, für das es keine Zeugen gibt. Es gibt nur Täter und Opfer. Es muss allerdings mindestens einen Zeugen gegeben haben, denn nach einem Zeitsprung und einem Ortswechsel nach Amerika macht sich der Privatdetektiv Hawk Steen daran, dieses Verbrechen zu sühnen. Die drei Täter laufen ihm mehr oder weniger zufällig über den Weg, werden aber alle je nach Grad ihrer Schuld bestraft.
Soweit eine tolle Kriminalgeschichte. Aber ganz so einfach ist es bei Ernst Augustin nicht. Dieser Hawk Steen kann nicht Zeuge des Verbrechens gewesen sein, denn es war niemand anwesend außer der „Geist der Erzählung“. Eine metaphysische Instanz, die das Geschehen überblicksartig beobachtet hat und angesichts dieser schlimmen Tat „aufsteht“ und „die Hand erhebt“. Ist Hawk Steen also dieser Geist der Erzählung? Oder ist das Ganze nur eine Phantasie des im Sterben liegenden Jungen? Für dieses oder jenes gibt es Anzeichen. Die letztgültige Entscheidung, und das ist eine der vielen schönen Seiten dieses Buches, kann jedem Einzelnen überlassen werden.
Witz und Tragik
Eine weitere Schönheit des Buches ist der Witz, der trotz der geschilderten Tragik, vorherrscht. Der Typus des Privatdetektivs wird quasi ad absurdum geführt. Die Souveränität mit der die Ereignisse geschildert werden, steht im Widerspruch zu der manchmal nicht vorhandenen Souveränität des Detektives. Dieser ist nicht einmal fähig sich in einer fremden Umgebung an die richtige Haltestelle eines Busbahnhofes zu stellen. Weiterhin wird er auch von einer Immobilienfirma übers Ohr gehauen. Diese Situationen haben in ihrer unsagbaren Komik beinahe etwas Loriothaftes. Ihre Faszination liegt darin, dass sie nur um eine Winzigkeit überspitzt sind und ansonsten genauso hätten stattfinden können. Auch Steens Ausrüstung hat etwas lustig-übertriebenes. Eine 45er Loyola gehört genauso zu seiner Ausrüstung wie eine Salbe gegen Stechwurmbefall.
Ob Witz oder Tragik: Augustins Sprache ist immer gleich faszinierend. Die mecklenburgische Landschaft wird genauso plastisch und wortgewaltig beschrieben, wie der Busbahnhof von Limon. Die Wendungen der Sprache sind genauso vielseitig, wie die Orte, die sie beschreibt. Großstädte, mecklenburgische Seelandschaften und tropische Dschungelwelten gehören genauso zum Repertoire wie ein heruntergekommenes Detektivbüro, ein Waffengeschäft und verschiedenste Hotelanlagen. Augustins Diktion reißt den Leser sowohl in tragischen wie in witzigen Momenten mit. Er wird zum mitlachen und mitfühlen eingeladen. Es ist vom ersten bis zum letzten Satz unmöglich, sich diesem Buch zu verschließen.
Die Frage nach der Gerechtigkeit
Nicht zuletzt ist Der amerikanische Traum ein Buch, das die Frage nach der Gerechtigkeit aufwirft. Wie können solche Kriegsverbrechen wie das geschilderte gesühnt werden? Es gab niemanden, der es hätte sehen können. Das Opfer liegt im Sterben. Ethik und Moral gebieten es jedoch, dass ein Verbrechen von solch großer Perfidie bestraft wird. Mit der Ausgangssituation dieses schlimmen Mordes an einem gänzlich Unschuldigen hätte Augustins Buch auch zu einer schweren Kost mutieren können. Die drei Täter hätten sich bspw. von Gewissensbissen und Depressionen geplagt in den Suizid ergeben können. Die Tat wäre somit gesühnt gewesen. Augustin geht jedoch seinen ganz eigenen Weg der Bestrafung. Er lässt die Fantasie walten und sich eine Bestrafung für die drei Täter ausdenken. Dieser spielerische Umgang mit der Schuld schafft eine bessere Auseinandersetzung damit als eine andere Möglichkeit.
Dieses Buch ist von einer derart großen Leichtigkeit, dass man beinahe enttäuscht ist, wenn es zu Ende geht. Es ist ein Buch, bei dem man immer wieder großen Lesespaß aber auch viele tiefgründige „Aha-Erlebnisse“ hat. Augustins Erzählkunst ist meisterhaft.
Ernst Augustin: Der amerikanische Traum. DTV. München 2009. 272 Seiten. 9,90 €.
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