Die Rechtfertigung, die keine sein soll
Karl Mays Versuch, sich und sein Werk zu erklären
von Torsten Ehlers
Über den Menschen Karl May hat man schon sehr viel gehört. Ein hervorragender Erzähler sei er gewesen, ein toller Autor für Abenteuergeschichten, ein Märchenonkel, aber auch Bezeichnungen wie „Hochstapler“ und „Dieb“ stehen im Zusammenhang mit seinem Namen. Als einen Psychologen hat ihn bisher allenfalls die Literaturwissenschaft bezeichnet und er sich selbst. Unbestreitbar sind sein erzählerisches Talent sowie seine Art, fesselnd zu schreiben. Was unter anderem Werke wie Der Schatz im Silbersee, die Winnetou-Reihe, aber auch die Geschichten um Kara Ben Nemsi belegen.
Aber kommen wir nochmals auf den Psychologen Karl May zurück. May selbst wollte seine Werke nie so gelesen wissen, dass er diese Orte, die er in seinen Werken unter anderem seitenlang beschreibt, wirklich bereist hat. Vielmehr möchte er seine Romane, Erzählungen usw. als Gleichnisse gelesen wissen und damit sind diese auch nur psychologisch zu verstehen. Eine Rechtfertigung für all die Anschuldigungen, denen er sich gegenüber sah, wollte er mit seiner Autobiographie Ich definitiv nicht geschrieben haben. Vielmehr ging es ihm darum, einige Situationen ins richtige Licht zu rücken. Diese Bemerkungen stellt er wie ein Vorwort seinem Buch Ich voran.
Rechtfertigung wider Willen
Doch wer nun erwartet, dass May damit beginnt, seine Kindheit, Jugend oder auch sein Leben bis zum Zeitpunkt seiner Autobiographie zu erzählen, der irrt sich. Vielmehr beginnt er damit, ein Märchen zu erzählen, welches seine Großmutter ihm immer vor dem Schlafen gehen erzählt hat. Dies ist ein cleverer Schachzug, denn damit untermauert er seine Theorie, in Gleichnissen geschrieben zu haben. Dies gelingt wirklich glaubwürdig. Das Märchen von Sitara heißt das Kapitel. Hier schildert May das man als niedere Kreatur geboren wird und im sogenannten Ardistan lebt und man danach streben muss ins Hochland zu gelangen. Dieses gelobte Land nennt sich Dschinnistan. Dies habe er sein Leben lang versucht und nur Menschen, die wirklich nach diesem Ort streben, machen Fehler und irren sich. Dieses Motiv ist nicht neu, kommt es doch in Goethes Faust vor, es irrt der Mensch solang er strebt, aber auch in der Bibel wird uns der Himmel als erstrebenswert angepriesen und wenn wir unsere Sünden beichten und dafür auch Buße tun, wird uns verziehen werden. Das Märchen von Sitara lässt sich also definitiv als ein Gleichnis auf die Bibel lesen und somit gelingt May der Einstieg wirklich perfekt. Doch dann wird er, wie auch in seinem gesamten Leben, inkonsequent. Aus seiner Nicht-Rechtfertigungsbiographie wird schlagartig eine Rechtfertigung. Nicht, dass man bereits seine Ausführungen zu seinem Märchen im Vergleich zu seinem Gesamtwerk lesen könnte, nein, nun fängt er an, sein Leben zu erzählen. Dies ist gar nicht schlimm, aber die Kapitel, die u.a. mit Meine Kindheit, Keine Jugend, Seminar- und Lehrzeit usw. überschrieben sind, durchziehen immer wieder Schimpftiraden gegen jene Subjekte, die ihn zu Fall bringen wollen. In diesen kürzeren Passagen macht May dann aber nicht nur den Fehler mit den Schimpftiraden, sondern versucht jenen Subjekten auch zu erklären, dass er aus einem dunklen, tiefen Tal kommt, wo nur Spitzbuben herkommen. Wie soll man denn, wenn man aus dieser Gegend stammt, jemals ein besserer Mensch werden? Genau hier merkt der geneigte Leser dann doch, dass Karl May sich nicht nur ins rechte Licht rücken möchte, sondern es auch allen Menschen recht machen will, sowohl Lesern als auch seinen Kritikern. Besonders nervt beim Lesen der Umstand, dass alle möglichen Personen oder auch Umstände schuld sein können an dem, was dem guten Karl May passiert. Es gibt nur eine Person die nie Schuld hat: Karl May.
Karl May legt mit seiner autobiographischen Schrift Ich einen wunderbar erzählten und ebenso spannenden Text vor. Sein Talent wird in diesem auch offenbar. Vor allem gelingt es ihm, dass der Leser in den Text hineingezogen wird. Ebenfalls entwickelt man Mitleid mit dem armen Protagonisten und kann dessen Schritte nachvollziehen. Aber genau in dem Moment, in dem Karl May den Leser auf seine Seite gezogen hat, reißt er sich dies alles wieder ein, in dem er eine seiner vielen Schimpftiraden loslässt. Es wäre eine wunderbare Geschichte, die man so hintereinander weg lesen könnte, aber diese Rechtfertigungen und ständigen Entschuldigungen machen es schwer, diesen Text zu lesen. Klar könnte man die Frage stellen, ob man denn von einem Menschen oder besser Autor wie Karl May eine objektive Schrift zu seinem Leben erwarten könne. Dies ließe sich nur verneinen, aber besser nachvollziehen, ließe sich der Mensch Karl May ohne diese Passagen definitiv. Die Frage wäre dann nur, würde man dem Autor May, diese Schilderungen dennoch abnehmen, wenn man seine Vita kennt?
Karl May: „Ich“. Karl Mays Leben und Werk. Karl-May-Verlag. Bamberg 1985. 624 Seiten. Diese Ausgabe ist nur noch antiquarisch erhältlich.
Oder:
Karl May: „Ich“. Karl Mays Leben und Werk. Karl-May-Verlag. Bamberg 2014. 624 Seiten. 19,90 €.
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